Papa ♡


Mein Vater hatte als er 19 war einen Verlag gegründet.
Er war einige Jahre jünger, als ich es derzeit bin.
Diese Vorstellung ist für mich unglaublich.
Meine Mutter und er waren für mich immer das perfekte Paar.
Sie haben sich perfekt ergänzt, mein Vater einen Verlag, meine Mutter Illustratorin.
Ich habe sie nie wirklich von einander getrennt erlebt, immer waren sie beisammen, oder zumindest schienen ihre Seelen immer verbunden. Selten verließ einer ohne den anderen das Haus. Kleidung war bis zuletzt aufeinander abgestimmt, sodass jeder sehen konnte, sie sind ein Paar. Auch nach über 30 Jahren beisammen sein.

Für meinen Vater war nichts wichtiger als wir: Seine Familie, Frau und Kinder.

Als ich ein Kind war, wurde ich nie alleine gelassen.
Meine Eltern waren immer bei uns, ob direkt oder in der Nähe.
Beide arbeiteten Zuhause.
Und auch wenn sie Zuhause arbeiteten, so hatten sie jede Menge Arbeit.
Und doch:
Sie hatten immer Zeit für uns.
Wenn wir nicht direkt bei ihnen waren, so reichte ein Anruf vom Kindergarten, von Eltern von Freunden, von der Schule.
Wir wurden immer abgeholt.
Mein Vater kam mit seinem roten Bus angefahren und wir waren nicht mehr alleine.

Als ich ein Kind war, war der komplette Verlag in einem Raum in unserem Haus.
Mein Vater saß dort und hat gearbeitet.
Ich war unglaublich stolz, wenn ich bei ihm sitzen durfte.
Er hatte uns Hörspiele von Märchen angemacht oder mich Computerspiele spielen lassen.
Ich hatte Ausmalhefte bekommen oder Rätsel für kleine Kinder.
Ich war unglaublich stolz, wenn ich bei ihm sitzen durfte.
Und das durfte ich immer.

Als ich ein Kind war, wollte ich unbedingt einen Hund.
Meine Eltern holten mir einen und ich liebte ihn, wir liebten ihn.
Er war ein wundervoller Hund und viele Jahre mein und unser bester Freund.
Meine Eltern hatten schon vorher einen Hund gehabt.
Als sie jünger waren fuhren sie mit einem Auto, sich selber und ihrem Hund durch die Welt.
Mit kaum Geld schauten sie, wie sie jeden Tag zum besten ihres Lebens machen konnten.
Es war ihnen immer wichtig, dass, auch wenn sie Hunger und Durst haben, der Hund als erstes bekommt. Meine Eltern machten Kunst. Sie malten, schrieben, fotografierten. Und machten Musik.
 

Als ich ein Kind war, bekamen meine Brüder und ich immer vorgelesen.
Jeden Abend setzte sich unser Vater hin und las und eine Gute-Nachtgeschichte.
Ob Bilderbücher oder später richtige Romane.
Sie haben mir viel bedeutet.
Später konnten wir selber lesen und gemeinsam lesen verband uns.

Als ich ein Kind war, konnte ich oft nicht einschlafen.
Mein Vater hatte mich in seine Arme genommen und ist mit mir durch den Raum getanzt.
Viele Lieder hat er dann für mich gesungen.
„Bleib schön wach und schlaf nicht ein.“
Noch lange stand er summend an meinem Bett.

Als ich ein Kind war, hatten meine Eltern mit unserer Familie sehr viele Ausflüge gemacht.
In Zoos, in Museen, in Vogelpärke, Adlerwarten, Blumengärten, Wälder.
Mein Vater mochte keine überfüllten Freizeitparks mit sinnloser Action.
Er wollte wirklich was erleben und vom Tag mitnehmen.
Erinnerungen, Wissen und Gemeinsamkeit.
So fuhren wir auch jedes Jahr möglichst zwei Mal ans Meer nach Dänemark.
Wir hatten Häuser mit eigenem Swimmingpool und gingen stundenlang am Meer entlang.
Wenn ich nicht mehr gehen konnte, so trug er mich. Stundenlang, wenn es sein musste.

Als ich ein Kind war, hatten wir ein Zimmer in unserem Haus, was für unsere Vögel war. Wir wollten keine Vögel, eingesperrt in einem kleinen Käfig. Ein ganzes Zimmer hatten diese, mit Pflanzen, einer Badewanne für sie. Es war wunderschön. Die Vögel vermehrten sich. Mein Vater kümmerte sich so lieb um unsere Tiere, machte das Zimmer immer sauber und das war eine harte Arbeit.
Auch andere Tiere hatten wir, Aquarien, Mäuse, Meerschweinchen. Ihnen allen ging es immer so gut bei uns.

Als ich ein Kind war bekam ich alles, was ich wollte.
Immer wenn ich etwas in einem Laden gesehen hatte und wollte, bekam ich es.
Vielleicht nicht immer direkt. Doch mein Vater suchte oft noch lange nach Angeboten, in Läden, Katalogen und auch dem Neuland Internetshops.  Ich bekam immer was ich wollte. Die schönsten Spielsachen, Computerspiele, Kuscheltiere, Puppen. So gut wie alles.
Meinen ersten Computer hatte ich mit 4 bekommen, mein Vater hatte den Computer und Bildschirm außen mit Glitzerfarbe in rosa angesprayt und gemeinsam hatten wir Sticker draufgeklebt. Es war der coolste Computer, den es je gegeben hat.

Als ich ein Kind war, wollte ich Geige lernen.
Mein Vater holte mir eine und brachte mir das Spielen bei.
Stundenlang saß er da und hatte Geduld mit mir, bis ich es schließlich selber weiter üben konnte.
Als ich die Saite stimmen wollte riss sie mir und ich dachte, dass ich die Geige kaputt gemacht hätte.
Doch er war nicht sauer, er wechselte einfach die Saite und gut war. Tröstete mich, denn ich hatte so geweint und mich so schlecht gefühlt.

Es hielten mich jedoch die meisten anderen Kinder komisch.
Ich hatte immer Individualität gelernt.
Meine Eltern waren keine Angestellten.
Sie waren an nichts gezwungen gebunden.
Alles was sie hatten und taten war, weil sie das liebten.
Sie brachten uns bei, dass wir wirselbst sein sollen.
Uns kleiden sollen wie wir mögen.
Uns für Umwelt einsetzten sollen.
Kunst schaffen sollen.
Das Leben genießen sollen.
Und immer gut zu anderen Menschen, Lebewesen, der Welt zu sein.

Doch irgendwann wird man älter.
Ich wurde in der Schule immer schlechter behandelt, meine Mutter bekam Krebs.
Unsere Nachbarn stressten, meine Mitschüler stressten.
Es wurde immer mehr.
Doch meine Eltern konnten unsere Kindheit festhalten.
Noch lange, bis zuletzt hatten wir Ausflüge gemacht.
Meine Eltern hatten immer wenn sie konnten versucht nach Dänemark zu fahren.
Irgendwann nur noch zu dritt, mit unserem Hund, meine Brüder kamen nicht mehr mit.
Wir Kinder sind ausgezogen, ich hatte immer versucht jede Woche zu kommen.
Ich saß mit meinen Eltern, jeden Abend, und haben gemeinsam Serien und Filme geschaut.
Wenn ich was zu erzählen hatte, habe ich ihnen geschrieben oder bin zu ihnen ins Büro gerannt.
Wir haben gemeinsame Mahlzeiten gehalten.
Sind gemeinsam mit unserem Hund in die schönsten Wälder und Felder gefahren.
Alles, was eine Familie ausmacht haben wir bis zuletzt gemacht.


Vor ca. einem Jahr wurde mein Vater krank.
Es hieß er habe eine Stammhirnentzündung.
Er musste ins Krankenhaus, mehrere Male.
Immer kam er geschwächter zurück doch bei uns schien es ihm besser zu gehen.
Mittlerweile studiere ich, doch ich nahm mir Pause um ihn bei allem zu unterstützen.
Mehr als die Hälfte der Woche war ich bei ihm.
Mal ging es ihm besser, mal schlechter.
Er fuhr von Arzt zu Arzt, doch keiner konnte den Grund für die Entzündung feststellen.
Die Ärzte fanden nichts. Eine Entzündung sollte auch nach einiger Zeit weg gehen.
Es könnte zwar bis zu einem Jahr dauern, aber es sollte wieder werden.
Irgendwann fielen ihn Sachen schwer, die er eigentlich gut konnte.
Er stolperte, er konnte nicht mehr so schnell tippen, so schnell arbeiten.
Ich sah wie es ihn mitnahm.
Doch er war weiterhin positiv.
Er erzählte uns, wie sehr er unsere Ausflüge genoss.
Wie lecker das Essen war, was meine Mama kochte und ich backte.
Wie glücklich er mit uns war.
Bis zuletzt hatte ich gehofft, nicht nur gehofft, geglaubt, dass es besser würde.
Er würde wieder gesund werden, langsam aber sicher.
Wir würden gemeinsam den Verlag leiten, wenn es ihm schwerfallen sollte.
Er könnte sich ausruhen und ich helfen.
Ich war mir dessen so sicher.

Doch eines Abends ging es ihm nicht gut. Den ganzen Tag lang war sein Blutdruck zu hoch. Es war warm. Dieser Tag kommt mir so vor, als wäre er so lange zurück, dabei sind es erst wenige Wochen.
Er kam ins Krankenhaus, wir sagten er bräuchte eins mit Neurologie, wie uns der Arzt das gesagt hat. Die Antwort der Schwester, die ihn mit Krankenwagen abholte, war: „Das hier ist kein Wunschkonzert.“
Am nächsten Tag hieß es er sei stabil und wird in ein Krankenhaus mit Neurologie überwiesen. Doch da kam, wenige Minuten später, die Nachricht, dass er zu Atmen aufgehört hatte.
Maschinen hielten ihn am Leben, kein Zeitgefühl, doch schließlich wachte er auf. Zwischendurch wurde er in ein anderes Krankenhaus befördert.
Ich war Zuhause und arbeitete, versuchte alles so vorzubereiten, dass er eine schöne Ankunft hatte. Er war ja wieder stabil?
Doch irgendwie hatte er einen Tumor im Stammhirn und schon zwei Tage später war er tot.
Ich saß am Bett und erzählte ihn von all den schönen Erlebnissen, die wir erlebt hatten.
Er konnte mich noch hören, er konnte nicken und sich so verständigen.
Ich sagte ihm, dass er der beste Papa der Welt sei.
Doch er starb.
Er war gerade erst 62 Jahre alt, mit 19 schon ein Unternehmen gegründet. Dieses bis heute beibehalten. Er konnte wundervoll singen und wundervoll schreiben. Er hatte ein Auge für Ästhetik. Er hatte den besten Humor der Welt. Er konnte improvisieren und während er sprach schöne und auch lustige Gedichte machen. Er war stark. Er konnte gute Handwerkskunst und die Bücher, die er erstellt hatte, waren unglaublich schön. Er machte sie alle selber, vom Lektorieren bis Setzen, bis Drucken bis Binden bis Schneiden. Er konnte auch unglaublich schnell lesen und war so schlau und gebildet. Er war ein wundervoller Gesprächspartner. Er konnte einen keinen Wunsch verneinen, denn er wollte den Menschen, die er liebte, alles geben, was er konnte. Und er liebte uns. Meine Mutter, unsere Hunde, meine Brüder und mich.
Und er gab uns alles.

Nun übernehme ich den Zwiebelzwerg Verlag.
Ich hoffe ich kann ihn stolz machen.
ich liebe ihn. 

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